Strafzumessung im US-Prozess
- Ein Überblick -
Von Henning Schaum *
Erstveröffentlicht am 15. März 2010
Einleitung
Über das amerikanische Strafrecht kursieren viele Gerüchte und viel Halbwissen. Oft werden Erkenntnisse aus Einzelfällen verallgemeinert, was sich jedoch aufgrund des unterschiedlichen Strafrechts der amerikanischen Einzelstaaten verbietet. Die Todesstrafe wird ebenfalls einzelstaatlich geregelt und sorgt weltweit für kontroverse Diskussionen. Immerhin wurde sie als zwingende Rechtsfolge auf bestimmte Verbrechen in dem Urteil des Obersten Bundesgerichts im Fall Furman v. Georgia, 408 U.S. 238 (1972), für verfassungswidrig erklärt. Etwa 20 Einzelstaaten sehen die Todesstrafe nicht mehr vor. Zwar existieren Geldstrafen, sie werden aber nicht in dem Maße angewandt, wie in Deutschland. Sogenannte Civil Penalties können ebenfalls verhängt werden; sie stellen allerdings keine strafrechtliche Sanktion dar, sondern sind auf den Ersatz von Schäden gerichtet, die etwa einem Einzelstaat durch eine Straftat entstanden sind. Die Civil Penalties stehen neben dem Strafrecht, können durchaus in die Millionen gehen und bedeuten für den Verurteilten manchmal das größere Übel.
Die verschiedenen Verstöße
In den USA wird wie in Deutschland zwischen Ordnungswidrigkeiten, infractions, Vergehen, misdemeanors, und Verbrechen, felonies, unterschieden. Daneben existieren allerdings noch Bundesverstöße, wie zum Beispiel Steuerhinterziehung, illegale Einwanderung oder Attentate auf den Präsidenten, die vom FBI verfolgt werden können und für die ein eigenes Bundesstrafrecht, aber auch eigene Bundesgerichte, existieren.
Die Jury
Festzuhalten ist, dass im amerikanischen Strafverfahren der Richter das Urteil spricht. Eine Jury entscheidet in der Regel über die Schuldfrage. In manchen Staaten geben die Geschworenen einen Vorschlag für die zu erwartende Strafe ab. Meist sind es etwa 12 Jurymitglieder, die in bestimmten Fällen sogar Tatsachenfeststellungen treffen dürfen. Das nach der Bundesverfassung garantierte Recht auf einen Juryprozess hat nach dem Urteil des Obersten Bundesgerichts im Verfahren Blakely v. Washington, 542 U.S. 296 (2004), zur Folge, dass ein Richter eine Strafe aufgrund anderer als von der Jury festgestellten Tatsachen nicht mehr erhöhen darf. Die Abwägung zwischen Todesurteil und lebenslanger Freiheitsstrafe trifft die Jury; der Richter darf jedoch stets mildern.
Die sogenannte Grand Jury kann aus deutlich mehr als den meist 12 Mitgliedern bestehen. Verfahren wegen besonders schweren Verstößen gegen Bundesrecht müssen nach dem 5. Verfassungszusatz zur US-Verfassung einer Grand Jury präsentiert werden. Einzelstaaten dürfen die Art und Größe ihrer Jury selbst wählen.
Faktoren für die Strafzumessung
Die Strafzumessung hängt wie in Deutschland von mehreren Faktoren ab: Art und Schwere des Verstoßes, Vorstrafen, Ermessen des Richters, aber auch einzelstaatliche und bundesrechtliche Richtlinien für die Strafzumessung, sentencing Guidelines, beeinflussen das Strafmaß.
Das Oberste Bundesgericht stufte im Fall United States v. Booker 543 U.S. 220 (2005), die bundesrechtlichen Richtlinien zur Strafzumessung als unverbindlich ein; sie werden aber dennoch häufig angewandt. Die Richtlinien bilden einen Strafrahmen anhand des Verstoßlevels, Offense Level, und der kriminellen Vorgeschichte, Criminal History Category, des Angeklagten. Der Strafrahmen lässt sich anschließend anhand einer Tabelle ablesen.
Es existieren 43 Verstoßlevel und 6 Stufen für den kriminellen Hintergrund. Bei einem Offense Level von 30 und einer Criminal History Category von 1 beträgt die Straferwartung nach der Richtlinie des Bundes beispielsweise zwischen 97 und 121 Monaten, bei einer Criminal History Category von 5 jedoch zwischen 151 und 188 Monaten Haft.
Die Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit kennen die Amerikaner nicht. Im Falle mehrerer Verstöße werden die Einzelstrafen grundsätzlich addiert. So kann es anders als in Deutschland zu Strafen kommen, die deutlich höher als die menschliche Lebenserwartung ausfallen. Das Additionsprinzip gilt jedoch nicht uneingeschränkt.
In dem Verfahren United States of America v. Lee Almany, Az. 08-6027, wies das Bundesberufungsgericht für den sechsten US-Bezirk am 10. März 2010 das Verfahren wegen fehlerhafter Strafzumessung an die Eingangsinstanz zurück. Diese hatte Almany wegen des Besitzes von mindestens fünf Kilogramm Kokain mit Verkaufsabsicht und im Zusammenhang damit wegen Besitzes einer Schusswaffe zu 10 und 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht sah sich hierzu gezwungen, da beide Einzelstrafen die verbindlichen Mindeststrafen für die Taten darstellten. Allerdings hatte das Gericht übersehen, dass der Waffenbesitz nach 18 U.S.C. §924 (c)(1)(A) dann nicht mit der Mindeststrafe von 5 Jahren geahndet werden muss und insoweit Ermessensspielraum besteht, wenn daneben noch eine höhere Mindeststrafe verhängt wird.
Hierin ist eine Tendenz hin zu dem in Deutschland etablierten Asperationsprinzip zu erkennen, nach dem eine Gesamtstrafe durch Erhöhung der Einsatzstrafe gebildet wird. Der amerikanische Bundesgesetzgeber hat zumindest in diesem Fall begriffen, dass es zu unverhältnismäßigen Strafen kommen kann und daher die starren Vorschriften der Strafzumessung ein wenig gelockert.
Weg von der Generalisierung?
Gleichwohl existiert in den USA ebenfalls eine Tendenz, durch Mindeststrafen und Richtlinien das menschliche Element in der Strafzumessung zu reduzieren. Zweifelhaften Ruhm hat dabei das in Kalifornien entwickelte und später gebräuchliche Three Strikes Law erlangt, nach dem bei dem dritten Verbrechen für den Angeklagten eine Mindeststrafe von 25 Jahren festgesetzt werden muss.
Besondere Divergenzen in der Strafzumessung exisiteren bei der Ahndung von Drogenverstößen. Ein Ersttäter, der 5 Gramm der weitverbreiteten Droge crack cocaine vertreibt, muss mit einer Mindeststrafe von 5 Jahren ohne Bewährung rechnen. Hätte er dagegen dieselbe Menge der weniger gebräuchlichen Reinform dieser Droge, powder cocaine, verkauft, so wäre seine Strafe wahrscheinlich bei 6 Monaten mit Bewährung anzusiedeln. Um diese Missverhältnisse zumindest teilweise zu vermeiden, sollen nach der Gesetzesinitiative des Fair Sentencing Act zur Wiederherstellung der Fairness in der bundesrechtlichen Strafzumessung für Kokaindelikte einige Passagen des 21 U.S.C. §841(b)(1) über Mengenbegrenzungen gelockert werden. Gleichzeitig seien jedoch höhere Geldstrafen erfoderlich. Die vorherige Maximalsumme von 20 Millionen Dollar soll auf 75 Millionen gesteigert werden. Ziel ist dabei in der Regel die erlangten Drogengelder abzuschöpfen, wenn diese nach den Ermittlungen nicht aufgefunden werden konnten. Der Justizminister hat dem Entwurf bereits zugestimmt. Diese Umschichtung der Rechtsfolgen lässt die generelle Herangehensweise, eher mit abschreckend hohen Mindeststrafen zu operieren, jedoch unangestastet.
Bewährung
Das in Deutschland bekannte System der Bewährung existiert in den USA unter dem Namen Probation und darf nicht mit Parole verwechselt werden. Erhält der Verurteilte Probation, so muss er gar nicht erst ins Gefängnis. Bei der Parole wird der Strafrest außerhalb des Gefängnisses verbracht. Gleichzeitig erhält der Delinquent zahlreiche Auflagen, die bei Nichteinhaltung dazu führen, dass er wieder zurück ins Gefängnis muss. Die Auflagen werden strengstens von einem Bewährungshelfer, Probation Officer, der unter Bewährung Stehende selbst oft mittels einer GPS-Fußfessel überwacht.
In einem Strafurteil wird meist schon festgelegt, ob der Angeklagte die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung erhalten soll, beziehungsweise für welche Dauer er in jedem Fall inhaftiert sein soll, bevor er in diesen Genuss kommen kann.
Fazit
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die durchschnittliche Haftdauer in den USA um deutlich mehr als 50 % angestiegen. Die USA hat damit die höchste Gefangenenrate und Gesamtzahl weltweit. Im Jahr 2008 waren etwa 2,3 Millionen Personen in den USA inhaftiert, was knapp 1 % der Bevölkerung entspricht. In Deutschland waren es im Jahr 2009 etwa 73.000, was nur 0,09 % der Bevölkerung entspricht.
In den USA gibt es im jeweiligen einzelstaatlichen System der Strafverfolgung viele Gemeinsamkeiten. Jedoch zeigen sich gerade bei der Ahndung von Waffenverstößen oder des Drogenhandels erhebliche Divergenzen im Strafmaß. Das Bundesstrafrecht und das Bundesstrafprozessrecht sind von den einzelstaatlichen Regelungen strikt zu trennen. Je nach Fallkonstellation sind auch andere Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zuständig. Auf der Rechtsfolgenseite existieren viele Parallelen zum deutschen System, wobei dem Deutschen eine besondere Härte bei der Urteilsfällung ins Auge sticht. Aufgrund der hohen Zahl an Gefängnisinsassen und der amerikanischen Tendenz der Abkehr von spezialpräventiven hin zu generalpräventiven Strafzwecken, erweckt das US-System auf den deutschen Betrachter einen befremdlichen, ja sogar erschreckenden Eindruck. Dies wird durch die mediale Darstellung US-amerikanischer Gefängnisse, die nicht selten der Wahrheit entspricht, noch unterstützt.
Gleichwohl kommt der Bereich der Strafzumessung in Bewegung. Eine direkt auf den Täter abgestimmte Strafzumessung ohne zwingend anzuwendende Mindeststrafen darf jedoch nicht erwartet werden. Diese Utopie ist auch nach deutschem Verständnis mit dem dennoch wichtigen generalpräventiven Charakter des Strafrechts unvereinbar und daher wohl auch nicht erstrebenswert. Ob dagegen die Strafzumessung anhand einer Tabelle, wie von den Sentencing Guidelines vorgesehen, in naher Zukunft gänzlich aus dem US-Prozess verschwindet, bleibt abzuwarten.
* Henning Schaum studierte Rechtswissenschaften an der Freien Universität in Berlin. Kriminologie und Strafrechtspflege bildeten dabei seinen universitären Schwerpunkt. Zur Zeit absolviert er seinen Referendardienst im Berliner Kammergerichtsbezirk. Die Interessenschwerpunkte seiner juristischen Tätigkeit liegen dabei sowohl auf nationalem und internationalem Strafrecht, dem Strafprozessrecht als auch auf dem Gesellschaftsrecht. Derzeit befindet sich Herr Schaum im Rahmen seiner Rechtsanwaltsstation bei der Wirtschaftskanzlei Berliner, Corcoran & Rowe, LLP, zur weiteren Ausbildung.
Zitierweise / Cite as: Schaum, Strafzumessung im US-Prozess, 19 German American Law Journal (15. März 2010),
http://www.amrecht.com/schaum2010.shtml
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